Warum so still, liebe EJÖ?

Thema "Pride" und die EJÖ

Die EJÖ wird immer wieder gefragt, warum wir zu Themen wie dem Pride Month nicht laut Stellung beziehen. Wäre nicht JETZT die Zeit, laut zu sein, sich offen zu positionieren und klare Kante zu zeigen?

Das ist richtig, denn wir stehen ein:
  • Gegen Intoleranz und für Verständnis!

  • Gegen Hass und für safe spaces, denn: faith spaces should be safe spaces!

Aber so leicht ist es eben doch nicht, denn der EJÖ gehören Menschen aus allen möglichen Hintergründen an und jede:r hat eine eigene Meinung, eine eigene Weltanschauung. Die EJÖ erkennt jede dieser Meinungen als gleichberechtigt an: jede Meinung muss gehört und darf diskutiert werden. Es muss immer möglich sein, trotz gegensätzlicher Meinungen aufeinander zugehen können.

Manche sehen sich als progressiv, andere als konservativ.

Für die einen ist die Bibel Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens, andere pflegen vielleicht eher einen punktuellen, aber ebenso ehrlichen Zugang.

Einige sehen sich als evangelikal, andere als liberal, wieder andere als charismatisch.

Für manche ist Gendern selbstverständlich und in jeder Situation einzufordern, andere können dieses Bedürfnis einfach nicht nachvollziehen.

Die einen sind heterosexuell, die anderen queer.

Manche meinen, Gott sei queer, andere teilen Gott ganz eindeutig ein Geschlecht zu, wieder andere meinen, Gott sei nach menschlichen (Geschlechts-)Merkmalen einfach nicht einteilbar.

Für manche ist der Pride-Month ein fixer Bestandteil ihres Jahresverlaufes, andere können damit nichts anfangen, nehmen ihn kaum wahr.

Die einen unterstützen die Pride-Bewegung, die anderen können dies nicht mit ihrer Meinung, ihrem Bibelverständnis und/oder ihrem Glauben vereinbaren.

Es wurde lange darüber geredet, was uns voneinander unterscheidet, anstatt über das nachzudenken, was uns verbindet, denn trotz all dieser Unterschiede eint uns unser gemeinsamer Glaube an Jesus Christus, der uns motiviert, in der Welt zu handeln.

Für die Sicht, die Meinung oder auch das Bibelverständnis jeder und jedes Einzelnen gibt es biblische Grundlagen und auch Gegenargumente. Genau diese bunte Vielfalt macht uns als EJÖ zu dem, was wir sind. Sie prägt unsere Kirche seit Jahrhunderten und darf sie auch in Zukunft noch lange prägen.

Solange trotzdem, über all diese Unterschiede hinweg (tolerant, auf Augenhöhe, ohne Vorurteile oder Hintergedanken und in aufrichtiger Nächstenliebe) aufeinander zugegangen (zusammengearbeitet, geredet und diskutiert) werden kann. Eine derartige Debattenkultur halten wir als EJÖ für unfassbar bereichernd und heißen daher theologische Diskussionen und respektvolle Streitgespräche willkommen.

Denn Vorwürfe wie: 

  • „Du Möchtegern-Patriarch genderst nicht?"

  • „Du sagst immer noch "Herr, erbarme dich? Du Antifeministin!"

oder

  • „Du gehst zur Pride, du kannst doch kein gläubiger Christ sein!“

  • „Wer gendert, liest die Bibel nicht richtig.“

bringen uns nirgendwo hin.[1] Wir wehren uns gegen Intoleranz und Diskriminierung und verurteilen jegliche Form von Gewalt in Sprache und Tat.

Sehr lange wurde aber in unserer Gesellschaft, auch in unseren evangelischen Kirchen und in unserer evangelischen Jugend, zu wenig miteinander und zu viel übereinander geredet.
Wir haben dabei verlernt, die bzw. den Andere:n als gleichberechtigtes Gegenüber, als unsere:n Nächste:n zu betrachten und anzuerkennen.

Jesus Christus spricht: „(…) Der Herr ist unser Gott, der Herr allein! Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit deiner ganzen Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Und als Zweites kommt dieses dazu: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Kein anderes Gebot ist wichtiger als diese beiden.“ (Markus 12, 29b-31/HFA)

Im Auftrag der Nächstenliebe sieht die EJÖ es als ihre Aufgabe an, einen ersten Schritt zu wagen, eine Brücke zu bauen über jene scheinbar unüberwindbaren Differenzen, anstatt diese durch polarisierende Aussagen zu verstärken.

Die Evangelische Jugend Österreich sieht es als ihre Aufgabe, in ihrem Wirkungsbereich zu vernetzen und bemüht sich, einen safe space für wertschätzende Diskussionen auf Augenhöhe zu bieten.

Für uns bedeutet das: Hass ist keine Meinung.

Meinungen ausblenden und niederschreien, die einem selbst nicht passen, ist jedoch ebenfalls kein Weg.

Man darf Fragen haben, man darf um Verständnis ringen und man darf sich auch Zeit nehmen, Gewissheiten zu überdenken.

Ebenso darf man eine Mittelposition einnehmen oder gar Zerrissenheit in sich spüren.

Die EJÖ ist vielstimmig. Das gilt es an manchen Tagen auszuhalten und an anderen zu feiern. Für uns bedeutet das zusammenfassend, dass wir im Miteinander folgende Grundhaltung leben wollen:

  • Zu Toleranz gehört für uns, zu wissen, woran man glaubt und wofür man steht.

  • Zu Toleranz gehört für uns, bereit zu sein für diesen ersten Schritt, auf seine:n Nächste:n zuzugehen.

  • Zu Toleranz gehört für uns, aushalten zu können, dass man sich manchmal nicht einigen kann.

  • Zu Toleranz gehört für uns, verschiedene Lebensentwürfe stehen lassen zu können.

  • Zu Toleranz gehört für uns, sich für Vielfalt der Meinungen einzusetzen und wach zu bleiben dafür, dass auch die Sichtweise des Gegenübers ihre Berechtigung haben könnte.

  • Zu Toleranz gehört für uns, sich mit anderen Meinungen auseinander zu setzen und sie akzeptieren zu können.

Demnach versteht sich die EJÖ in der Vielfalt an Meinungen als Brückenbauerin.

Es ist wie beim menschlichen Körper: Er bildet eine Einheit und besteht doch aus vielen Körperteilen. Aber obwohl es viele Teile sind, ist es doch ein einziger Leib. So ist es auch mit Christus.“
(1.Korinther 12, 12)


[1] Die Synode A.B. hat im März 2019 in der Diskussion um die „Ehe für alle“ festgehalten: „Den einen Homophobie vorzuwerfen und den anderen den Glauben abzusprechen ist unsachlich und fördert die Einstellung, sich mit den jeweils anderen und ihren Argumenten nicht auseinandersetzen zu müssen.“ (Siehe dazu auch: „48. Entscheidung der Synode A.B. betreffend der Segnung von Paaren“, Amtsblatt Nr. 2019_03 Seite 38f.)